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Der Kalender als Anlageberater: Sell in May? You better stay!

Na, immer noch nicht alle Aktien verkauft? Dann wird’s aber Zeit! Heute ist schließlich schon der 30. Mai und der (Börsen-)Volksmund reimt nicht ohne Grund: „Sell in May and go away“. Rein statistisch ist das Verlustrisiko im Sommer am höchsten. Anleger machen deshalb jetzt am besten einfach mal Kasse, um dann in ein paar Monaten – rechtzeitig zur sagenumwobenen Jahresendrally – auf deutlich ermäßigtem Kursniveau wieder einzusteigen.

Ähnlich läuft das ja auch bei Immobilien: Weil sich in der Adventszeit die meisten Wohnungsbrände ereignen, schmeißt man die Mieter spätestens Anfang November raus – um dann nach Weihnachten in aller Ruhe neu vermieten zu können. Oder!?

 

Empirisch robustes Phänomen

Scherz beiseite. Das Phänomen der Saisonalität ist empirisch durchaus robust. Im Durchschnitt der letzten 25 Jahre steht beim DAX für jeden einzelnen Monat zwischen Oktober und Mai ein Plus – während im Juni, August und September Verluste anfallen.

Erklärungen für die sommerliche Schwäche und den herbstlichen Höhenflug gibt’s zuhauf. Wirklich überzeugend ist allerdings keine. Doch was soll’s, solange die saisonale Strategie funktioniert. Und das tut sie, zumindest auf den ersten Blick: Wer seit 1992 jedes Jahr Ende Mai seine DAX-Zertifikate oder ETFs verkauft hat, vier Monate lang gar nicht investiert war und erst Anfang Oktober wieder eingestiegen ist, konnte sein Investment weit mehr als verzwanzigfachen. Mit simplem Kaufen und Liegenlassen war dagegen nur eine Verachtfachung drin.

Vorsprung durch Ausreißer

Von solchen Überrenditen können die meisten Fondsmanager nur träumen. Doch die Sache hat leider einen gewaltigen Haken. Der immense Vorsprung resultiert nämlich vor allem aus den Jahren 2001 und 2002. Damals stürzte der DAX zwischen dem 1. Juni und dem 30. September um 30% bzw. 43% ab. Diese Verluste hat man sich mit der viermonatigen Investment-Pause natürlich erspart.

Saisonalität Sell in May DAX Historie

Seitdem war mit der Saison-Strategie indes kaum noch ein Blumentopf zu gewinnen. Der Vorsprung – in unserer Info-Grafik hellblau schraffiert – wird auf hohem Niveau unter Schwankungen gehalten.

Zugegeben, auch 2008 (-13%), 2011 (-25%) und 2015 (-15%) hagelte es in den Sommermonaten kräftige Verluste. Doch manchmal gab’s eben auch zweistellige Gewinne, die man dann halt verpasst hat – etwa 2005 (+13%), 2009 (+15%) oder 2012 (+15%). Und meistens läuft es ohnehin wie 2013, 2014 oder 2016: Der DAX plätschert vor sich hin, ein paar Prozent rauf oder runter und außer Spesen ist nicht allzu viel gewesen.

Fragwürdiger psychologischer Vorteil

Die Finanzpresse zitiert deshalb gerne noch einen vermeintlichen psychologischen Vorteil der Saison-Strategie: Anleger, die jetzt verkaufen, müssen sich im Urlaub keinen Kopf um Kursschwankungen machen. Doch Hand aufs Herz – wenn einem die Launen der daheim gebliebenen Börsianer wirklich die Sommerfrische vermiesen, sollte man mal ganz grundsätzlich checken, ob die Aktienquote zur persönlichen Risikopräferenz passt.

Ohne Aktien keine Dividenden

Hinzu kommt: Wer keine Aktien hält, kann auch keine Dividenden kassieren. Das ist bei DAX-Titeln zwar egal, denn mit den 0,60 Euro, die die Deutsche Telekom am 2. Juni überweist, ist die Erntezeit im Frankfurter Leitindex schon wieder vorbei. Viele Nebenwerte hingegen zahlen erst später im Juni oder Juli.

Sell in May? Better stay!

In den USA ist dank der Quartalsdividenden ohnehin immer Saison. Neben den geringeren Kursausschlägen dürfte das der Hauptgrund sein, warum die viermonatige Investment-Pause im S&P 500 langfristig kaum etwas bringt. Inklusive reinvestierter Ausschüttungen kommt das Wall Street-Barometer für die letzten 25 Jahren auf einen „Buy & Hold“-Zuwachs von 870%. Für die Saison-Strategie stehen 940% zu Buche. Pro Jahr beläuft sich der Vorsprung mithin auf krümpelige 0,3 Prozentpunkte (9,3% vs. 9,6% p.a.) – nicht wirklich eine angemessene Prämie für den mit dem regelmäßigen Aus- und Wiedereinstieg verbundenen Kosten-, Zeit- und Steuer-Aufwand.

Saisonalität Sell in Max SP 500 Historie

Statt hin und her zu handeln sollten Anleger einsehen: Nicht aus jeder empirisch nachweisbaren Anomalie lässt sich eine tragfähige Investment-Strategie ableiten. Dafür braucht es entweder ein bisschen mehr als den Kalender – oder man lässt das „Timing“ gänzlich sein. Denn auch das zeigt unsere Info-Grafik vom Anfang: Viel schlimmer als Kursverluste im Sommer ist es, in den übrigen acht Monaten des Jahres keine Aktien zu haben!

Folgen Sie Christian W. Röhl bei Facebook und auf Twitter (@CWRoehl).

Sämtliche Inhalte nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr für Aktualität, Richtigkeit, Vollständigkeit und Genauigkeit. Der Text dient nur der Information und stellt keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf der erwähnten Wertpapiere dar. Der Autor haftet nicht für materielle und/oder immaterielle Schäden, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der Inhalte oder durch die Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Inhalte verursacht wurden.

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